Warum Kassenschlangen bald aussterben werden

Warum Kassenschlangen bald aussterben werden

Geduld gehört nicht zu meinen Stärken, und Warten ist schon gar nicht mein Ding. Das können alle bestätigen, die mich kennen. Kein Wunder, dass ich ein Problem mit Warteschlangen habe – egal, wo ich auf sie treffe. Sobald ich länger als gefühlte fünf Minuten anstehe, denke ich genervt, dass ich mit meiner kostenbaren Zeit etwas besseres anfangen könnte, als hier dumm rumzustehen. 

Wußten Sie, dass man als Kunde allein im Supermarkt bei jedem Einkauf durchschnittlich 6,9 Minuten an der Kasse warten muss. Im Jahr sind das rund 6 Stunden, die man mit Warten an der Supermarktkasse verbringt – vorausgesetzt, dass man nur einmal in der Woche einkaufen geht.¹ Doch mehr als 54 % der Deutschen gehen drei Mal oder mehr pro Woche in den Supermarkt, 25 % sogar vier Mal oder öfter.² Da kommt viel verlorene Zeit zusammen. Hier sind die vielen Stunden nicht mitgerechnet, die man noch andernorts im Einzelhandel mit Check-out vergeudet. 

Wartende Kunden sind eine nicht zu unterschätzende Gefahr für den Handel. Wer warten muss, ist schnell genervt und unzufrieden.

Wartende Kunden sind eine nicht zu unterschätzende Gefahr für den Handel. Das belegen wissenschaftliche Studien. Wer warten muss, ist schnell genervt und unzufrieden. Dann erzählt er seinen Freunden und Bekannten davon oder hinterlässt eine Schmähkritik im Internet. Für 63 % der Shopper sind Schlangen sogar ein Grund, den Laden zu verlassen, ohne etwas gekauft zu haben.³ Dann gehen sie im schlimmsten Fall zur Konkurrenz.

In unserer von Zeitmangel geprägten Gesellschaft versucht man das Problem mittlerweile mit Verkaufsformaten in den Griff zu bekommen, die helfen sollen kostbare Zeit zu sparen. Das gilt vor allem für die Einkäufe von alltäglichen Bedarfsgütern, die per se eher als nervend und zeitraubend empfunden werden. 

Seit Amazon mit Amazon Go den Sprung in den stationären Handel gewagt hat, gehört das Unternehmen auch hier zu den Innovationstreibern. Sein kassenfreier Supermarkt kombiniert den traditionellen Einkauf mit der Geschwindigkeit, der Einfachheit und der Unabhängigkeit des Online-Shoppings. Man kann sich einfach nehmen, was man braucht, und den Laden ohne zeitaufwendiges Check-out wieder verlassen.

Mit einem ähnlichen Service will auch das Tao Café von Alibaba den Einkaufsprozess beschleunigen. Vor dem Betreten des Stores müssen die Shopper einen QR-Code mit der Taobao App scannen. Zudem überprüft eine Gesichtserkennung ihre Identität. Im Laden werden ihre Bewegungen dann getrackt und die Produkte, die sie einkaufen, automatisch über ihren Taobao Account abgerechnet. Im neuen Futuremart Store geht Alibaba noch einen Schritt weiter und belohnt die Shopper mittels eines „Happy Go meter“ mit einem Discount für ihr Lächeln beim Verlassen des Stores. 

 Wie der kassen- und mitarbeiterfreie Convenience Store der Zukunft aussehen kann, zeigt der Moby Mart des schwedischen Unternehmens Wheelys. Es ist ein mobiler Store auf Rädern, der von einer KI gesteuert wird und das Stadtgebiet von Shanghai selbstständig durchwandert. Bei seinem Anblick fühlt man sich an Science-Fiction-Filme erinnert. Zum Einkaufen können die Kunden den Moby Mart herbeirufen oder sich die bestellte Ware per Drohne liefern lassen. Ob mobile Stores angesichts des permanent drohenden Verkehrskollaps in den Mega-Citys wirklich so convenient sind, wird sich zeigen müssen.

Eine schon etwas handfestere Lösung bietet der Smartcart von Imagr. Das neuseeländische Unternehmen ist auf Künstliche Intelligenz spezialisiert. Es entwickelte ein System, dass sich die Produkte merkt, die der Shopper in seinen Einkaufswagen legt. Ein Scannen der Barcodes ist nicht notwendig. Damit entfallen das Check-out und die damit zusammenhängenden Warteschlangen an den Kassen.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Eliminierung der Kassenschlangen allein den Kunden ein nachhaltig positiveres Einkaufserlebnis bescheren wird. Schließlich ist Warten mehr ein psychologisches als ein zeitliches Problem. Zudem hängt eine begeisternde Shopper Experience noch von vielen weiteren Faktoren ab, die entsprechend den Erwartungen der Shopper gestaltet werden müssen.

 


 

Quellennachweise:

¹ Wartezeiten der Deutschen: PC-Nutzer warten am längsten, auf: Kalender-Uhrzeit.de, 27.012015.
² Deutsche verbringen zwei Jahre ihres Lebens mit Supermarkt-Einkäufen, auf: Food-Monitor.de, 12.10.2012.
³ Der Adyen Retail Report 2018. Wie deutsche Verbraucher heute shoppen, was sie davon abhält, und wo sich für Händler großes Potential ergibt, März 2018.

Wolf Thiem