10 Sep Warum Marken mit einem virtuellen Waschbären gemeinsame Sache machen
Meine Tochter hat eine Nintendo Switch, und natürlich spielt sie Animal Crossing: New Horizons – wie Millionen Andere auch. Als ich ihr zusah, dachte ich: Wow, das ist wie im echten Leben! Das Spiel besteht im Wesentlichen aus Arbeiten, damit man Dinge kaufen kann, um seine Insel zu verschönern. Diese Realitätsnähe machte das Spiel nicht nur zu einem Verkaufserfolg, sondern auch zu einer attraktiven Marketingplattform für Consumer Brands.
AND THE WINNER IS … ANIMAL CROSSING
Die Computer- und Videospielindustrie gehört zu den wenigen Branchen, die trotz oder wegen der Corona-Krise boomen. Es wurde noch nie soviel gespielt wie in dieser Zeit. 28% der Befragten Gamer in Deutschland gaben an, das Videospiele ihnen geholfen haben, besser durch die Krise zu kommen.
Zu den Gewinner dieses Booms zählt Nintendo. Das liegt u.a. an Animal Crossing: New Horizons. Bereits zum Start im März 2020 wurde es rund 12 Millionen Mal verkauft. Bis Ende Juni 2020 waren es insgesamt bereits über 22 Millionen Einheiten. Nur Mario Kart 8 Deluxe fand mehr Käufer, aber das gibt es auch schon länger.
FLUCHT VOR DER WELT IN DIE REALITÄT
Video-Games dienen der Realitätsflucht – mit Richtung: raus aus der Tristesse und hinein ins digitale Abenteuer. Nicht so bei Animal Crossing. Hier flüchtet man vor dem Chaos einer undurchschaubaren Welt auf eine sehr übersichtliche und höchst entschleunigte virtuelle Trauminsel, die es neu zu besiedeln gilt.
Animal Crossing ist eine Lebenssimulation, vergleichbar mit dem Spiel Die Sims. Trotz des hohen Niedlichkeitsfaktors ist sie der unsrigen Welt nicht unähnlich. Der größte Unterschied besteht darin, dass es hier kein Scheitern oder Versagen gibt. Man könnte einfach auf seiner Insel umherwandern und nichts tun. Keinen würde es stören.
Es wäre der perfekte Ort zum Abhängen, wenn es nicht den kapitalistischen Waschbären namens Tom Nook gäbe. Er hat das Sagen auf den Inseln, und seine Maxime lautet: Willst du etwas haben, musst du es kaufen. Dafür braucht man jedoch Sternis, die Fantasiewährung in Animal Crossing.
Die Realitätsnähe zur spätkapitalistischen Konsumgesellschaft macht Animal Crossing zur idealen Marketing-Plattform für experimentierfreudige Consumer Brands.
Also sammeln die Spieler alles mögliche Zeug und tauschen es gegen Sternis. Damit können sie die Dinge kaufen, die sie brauchen, wie Werkzeuge und Gerätschaften, und natürlich jede Menge Sachen, die sie nicht unbedingt brauchen, aber haben wollen, wie Möbel, Kleider, Wohn- und Modeaccessoires etc. Da das Spiel kein Ende hat, geht das endlos so weiter – wie im richtigen Leben.
DIE WELT DARF NICHT ZU PERFEKT SEIN
Diese Realitätsnähe zur spätkapitalistischen Konsumgesellschaft ist es anscheinend, die den besonderen Reiz von Animal Crossing ausmacht. Ein mögliche Erklärung, warum das so ist, findet sich im Film The Matrix von 1999. In der Verhörszene klärt Agent Smith den Rebellenführer Morpheus über die immanente Widersprüchlichkeit der Matrix auf:
„Wussten Sie, dass die erste Matrix als perfekte Welt geplant war …? Ein rundum glückliches Leben! Es war ein Desaster. Die Menschen haben das Programm nicht angenommen (…). Die perfekte Welt war (…) ein Traum, aus dem euer (…) Gehirn aufzuwachen versuchte.“
Ganz so realistisch wie die Matrix ist Animal Crossing nicht. Auch wenn das Inselleben von kapitalistischen Prinzipien geprägt ist, gestaltet sich es zumindest als simulierte Arbeitsutopie. Hier wird die Arbeit immer und immer gleich entlohnt. In unserem Alltag findet sich das nur selten.
DAS IDEALE SPIELFELD FÜR MARKEN
Die Ähnlichkeit mit unserer Alltagswelt lockt auch Consumer Brands an. Kurz nach dem Launch tummelten sich bereits die ersten in Animal Crossing. Zu ihnen gehörte die E-Sport- und Streetwear-Marke 100 Thieves. Im April stellte sie den Spielern virtuelle Kopien aus ihren Kollektionen als kostenlose Downloads für ihre Avatare bereit.
Fans von 100 Thieves wissen, wie schwierig es ist, Teile der Kollektionen im realen Leben zu erwerben. Oft sind sie innerhalb von Minuten ausverkauft. Jetzt können sie jedes Stück aus den Kollektionen der vergangenen drei Jahre zumindest virtuell besitzen. Dazu benötigen sie nur einen Download-Code.
Hippe Outfits für Avatare. Foto: 100 Thieves
Für das passende Make-up der Avatare sorgt Parfums Givenchy. Seit Juli 2020 bietet die Luxus-Beauty-Marke verschiedene Make-up-Designs für sie an. Sie entstanden in Kooperation mit Nook Street Market, einem dreiköpfigen Spieler-Team, das virtuelle Outfits für das Spiel entwirft.
Inspiriert wurden die virtuellen Make-up-Kreationen von realen Produkten wie die Lippenstifte Prisme Libre Loose Powders und Le Rouge von Parfums Givenchy. Zudem gibt es 4G-Herz- und Lippentätowierungen, die die Form des Markenlogos haben. Erhältlich sind die Looks über die Instagram-Konten von @givenchybeauty und @nookstreetmarket.
Make-up-Looks für Avatare. Foto: Parfums Givenchy via WWD
Mittlerweile sorgen Marken nicht nur das perfekte Aussehen der Avatare. Olivia’s unterstützt die Gamer auch dabei, ihr virtuelles Heim in ein digitales Luxusrefugium zu verwandeln. Im Mai 2020 startete die britische Haushaltswaren-Marke einen entsprechenden Inneneinrichtungsservice in Animal Crossing.
Spieler können einen einstündigen Termin mit einem virtuellen Berater von Olivia’s vereinbaren. Er gibt ihnen Feedback zur aktuellen Gestaltung des Hauses und Tipps für das perfekte virtuelle Feng Shui. Als besonderen Clou können User selbst Designberater im Auftrag der Marke werden und bis zu 40 GBP pro Stunde verdienen.
Einrichtungsberatung fürs virtuelle Heim. Foto: Olivia’s
Direkt eine ganze Insel hat die Beauty-Marke Tatcha entworfen. Sie entstand in Partnerschaft mit der Activewear-Marke Alo Yoga und dem oben bereits erwähnten Team von Nook Street Market. Das virtuelle Pop-up mit Namen Tatchaland wurde geschaffen, um die Spieler über die Markteinführung des neuen „Rice Wash“-Reinigers zu informieren.
Bevor die Insel fürs Publikum geöffnet war, wurde sie auf Twitch gestreamt. Die notwendigen Codes für den Besuch der Insel wurden über das Instagram-Konto @NookStreetMarket veröffentlicht und gaben den Usern zudem die Chance, eine Reihe von IRL-Artikeln und weitere virtuelle Outfits von Alo zu gewinnen.
Pop-up-Insel zur Produkteinführung. Foto: Tatcha via allure
Marken können auch direkt von Animal Crossing profitieren. So holte sich Amaro die Inspirationen für ihre neue „Cross Collection“ direkt aus dem Spiel. Dazu erschuf die brasilianische Modemarke einen eigenen Avatar namens Mara. Die Spieler konnten Mara auf ihrer Insel besuchen und ihr die selbstentworfenen Outfits ihrer Avatare zeigen.
Unter den präsentierten Outfits wählten die Designer von Amaro ihre Favoriten aus, die als Teil der neuen Capsule Kollektion im wirklichen Leben produziert werden sollen. Die Spieler, deren Entwürfe ausgewählt wurden, wurden mit Gutscheinen belohnt. Die Kollektion soll noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.
Inspirationen für die neue Kollektion. Foto: Amaro via Contagious
Animal Crossing kann für Marken nicht nur als Marketingplattform interessant. Als Teil der globalen Brand Mission, den Menschen zu helfen, einfallsreicher mit Lebensmitteln umzugehen und weniger Abfall zu produzieren, hat Hellmann’s Canada eine Insel geschaffen, die es Spieler ermöglicht, in der realen Welt etwas zu bewirken.
Die Gewürzmittelmarke ermöglicht es den Spielern, ihre virtuellen Lebensmittelabfälle im Spiel in reale Lebensmittel für Menschen in Not umwandeln. Bei einem Besuch der Hellmann’s Insel konnten sie verdorbenen Rüben abgeben. Im Austausch stellte Hellmann’s insgesamt 25.000 Mahlzeiten für bedürftige Gemeinden im ganzen Land bereit.
Reale HIlfe durch virtuellen Lebenmitteltausch. Foto: Hellmann’s
So schön kann also das reale Leben im virtuellen sein, wenn man Animal Crossing spielt. Und für Marken ist eine kreative Spielwiese, um mit Kunden in Kontakt zu kommen und sie spielerisch an sich zu binden.
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Vorschaubild: Nintendo
